All language subtitles for ailos.reise.grosse.abenteuer.beginnen.mit.kleinen.schritten.2018.german.dl.1080p.bluray.x264-univers

AILOS REISE

Die Welt ist seltsam.

Niemand weiß, warum wir hier sind.

Und dennoch... muss man
jeden Morgen aufstehen,

sich wieder in Bewegung setzen und seinen
Platz unter allen anderen wiederfinden.

Manchmal möchte man im Bett bleiben
oder sich unsichtbar machen.

Doch meistens macht man weiter.

Nicht wahr?

Vielleicht weil man weiß,
dass es viele Dinge gibt,

die man noch nicht erlebt hat oder
gerne noch einmal erleben würde.

Das Rauschen einer Berührung.

Oder eines schlagenden Herzens.

Das ist die Geschichte von Ailo.

Wie er geboren wurde.

Wie er herangewachsen ist.

Wie er geliebt wurde.

April, im Herzen Lapplands.

Letzte Ebene am nördlichen Polarkreis.

Seit jeher steigen die wilden
Rentiere von den Gipfeln hinab

und begeben sich zu den Sommerweiden,

weil die Weibchen dort
ihre Kleinen zur Welt bringen.

Das ist die Mutter von Ailo.

Er ist immer noch in ihrem Bauch.

Und sie weiß, dass es heute soweit ist.

Normalerweise können die Weibchen

ihre Kleinen bis zum Ende
der Reise in sich behalten.

Sie wissen, dass ein Kalb
geringe Überlebensschancen hat,

wenn es hier geboren wird.

Doch diesmal kann Ailos Mutter
nicht mehr länger warten.

Sie muss die Herde verlassen,
um einen Unterschlupf zu finden.

Einen überdachten Ort,
der sie vor Raubvögeln schützt.

Und etwas Gras,
damit ihm nicht zu kalt wird.

Das ist Ailo.

In dieser Region Lapplands
erzählt man Kindern,

dass ein Rentier, wenn es geboren wird,

fünf Minuten Zeit hat,
um sich auf die Beine zu stellen,

fünf Minuten Zeit hat,
um laufen zu können,

und fünf Minuten Zeit hat, um zu lernen,

wie man rennt und schwimmt.

Es ist eine Frage des Überlebens...

Leider kommt es manchmal vor,
dass Mütter nicht wissen,

wie man eine gute Mutter ist.

Hat sie Angst davor, ihn nicht großziehen

und ihn beschützen zu können?

Manchmal ist die Welt so hart,

dass wir Entscheidungen treffen müssen,
die uns an unsere Grenzen bringen.

Bei seiner Mutter treffen
zwei Instinkte aufeinander:

Der Instinkt zu überleben
und zur Herde zurückzukehren

und der, eine Mutter zu sein und
sich den Gefahren zu stellen.

Das Kleine, sein Atem und sein Geruch

führten sie zu der Entscheidung,
ihn großzuziehen, so gut es geht.

Denn eines Tages wird er sein Rentierleben
im hohen Norden alleine leben.

Heute ist Ailos erster Tag auf dieser Welt

und seine erste Begegnung

ist mit einem springenden Eichhörnchen.

Er hat fortan nur einen Gedanken
in seinem Kopf:

Fressen, ohne gefressen zu werden.

Für einen Neugeborenen
ist es ein bisschen zu schnell,

aber wenigstens motiviert es ihn,
aufzustehen.

Ailo ist erst seit ein paar Stunden
auf der Welt

und muss jetzt schon seine
vier Beine koordinieren können.

Beeile dich besser, Ailo.

Wenn ihr die Herde nicht einholt,
macht ihr euch sehr angreifbar.

Deine Mutter weiß,
dass diese Wälder voller Raubtiere sind,

die so ein kleines Rentier
gern vertilgen würden.

Aber genieße jetzt erstmal den Schutz,
den sie dir gibt.

Sie wird versuchen aus dir ein starkes
und tapferes Rentier zu machen.

Ja, es gibt erbarmungslose Raubtiere.

Doch es gibt auch Raubtiere,
die weniger beunruhigend sind.

Das ist ein Hermelinweibchen.

Ist euch schon aufgefallen, wie bestimmte
Menschen Gelassenheit ausstrahlen?

Sie schreiten in aller Ruhe voran.

Ein bisschen so wie Wolken.

Allein ihnen zuzusehen,
hat eine beruhigende Wirkung.

Bei Hermelinen ist es genau das Gegenteil.

Apropos Räuber und Beute,
Rentiere sind nicht so ihr Fall.

Ohne Zweifel eine Frage der Größe.

Nein, ihre Vorliebe gilt den Eiern.

Ja, sie liebt Eier sogar!

Ich hab es euch ja gesagt: Zen!

Die Ruhe in Person!

Vorsicht, gleich fängt sie an zu wüten!

Wenn er in Ruhe aufwachsen will,

sollte Ailo seinen Weg
jetzt besser fortsetzen.

Ein Lemming?

Vergiss die Eier!

Ja, vergiss die Eier!

Gut, den Lemming auch.

Jetzt heißt es untertauchen.

Der Dieb, der sich ihr Essen erbeutet hat,
ist eine Schnee-Eule.

Sie hat nicht nur
eine Vorliebe für Lemminge,

sondern auch für Hermeline.

Es ist an der Zeit, den Wald zu verlassen.

Ihr seid jetzt ohne Schutz.

Das Kleine dort

wurde auch zu früh geboren,

doch es hatte nicht
so viel Glück wie Ailo.

So wie auch er, stirbt die Hälfte
der Rentiere in Lappland

vor ihrem ersten Geburtstag.

Ailo ist erst seit drei
Tagen auf der Welt.

Jeder Schritt, den er macht,
ist in seinem Leben ein großer Triumph.

Vor allem mit solch kurzen
Beinen in so tiefem Schnee,

der durch die Sonne schmilzt.

Und währenddessen entfernt sich
die Herde immer weiter.

Wenn ihr gedacht habt,
dass es größere Gefahr gibt,

als sich im Schnee fortzubewegen,

dann hattet ihr recht.

Er muss einen eisigen und
turbulenten Fluss überqueren.

Ailo,

fünf Minuten Zeit,
um auf die Beine zu kommen,

fünf Minuten um laufen zu können,

und fünf Minuten, um zu lernen,
wie man rennt und schwimmt.

Fünf Minuten, um aufzustehen,

fünf, um zu laufen

und fünf, um zu schwimmen.

Jetzt ist es soweit!

Über sich hinauswachsen
oder hierbleiben und warten,

bis die Kälte über ihn siegt.

Ja, ihm ist kalt, ja er ist erschöpft.

Und er könnte zusammenbrechen.

Doch so einer ist er nicht.

Ailo beginnt die Gesetze und
Gefahren dieser Welt zu verstehen,

und sein Herz fängt
stärker an zu schlagen.

Sieht so das Leben eines Rentiers aus?

Reißende Bäche, die überquert

und Gipfel, die einer nach dem
anderen erklommen werden müssen?

Und nichts als Schnee am Horizont?

Ob er wohl weiß, dass die Spuren,

welchen sie folgen,
von seiner Herde sind?

Seine Mutter kennt den Weg gut.

Es ist ihr Weg,
seit Jahrhunderten derselbe.

Vor Ailo wird ein neuer Horizont sichtbar.

Man nennt sie Fjorde,

Meeresarme, die das Gebirge
spitzenartig durchbrechen!

Da sind sie, die Sommerweiden!

Und die Herde?

Sie sollte dort sein,
auf der Sohle des Tals!

Sie haben es geschafft!

Zu diesem Zeitpunkt ist Ailo
gerade mal fünf Tage alt.

Und trotzdem hat er an der Seite
seiner Mutter schon so viel gelernt.

Sie hat ihn Durchhaltevermögen
und Mut gelehrt.

Von nun an wird seine Herde,
seine Familie,

an seiner Seite leben,
um hier zu überleben.

Sie werden sein Wall gegen Raubtiere sein.

So ist das bei Rentieren.

Deine Familie.

Deine Familie?

Hier scheint was zu fehlen, nicht?

Aber ja. Die Kleinen!

Während Ailo seiner Mutter
in den Hochebenen folgte,

wurden hier Dutzende
von Kälbern geboren.

Viele neue Cousins
in allen Formen und Farben.

Sie kennen sich noch nicht,
doch sobald die große Reise beginnt,

sind sie eine große Familie.

Doch bis dahin wird er noch
gegen einiges ankämpfen müssen.

Gegen die Kälte,

reißende Bäche,

Lawinen...

Oder Raubtiere.

Die Wölfin hat die Herde bemerkt,
wird sie jedoch nicht angreifen.

Zumindest heute.

Denn Wölfe jagen nicht alleine.

Sie wird zurückkommen.

Aber in Begleitung!

Inzwischen sind seit Ailos Ankunft
bei seiner Familie drei Tage vergangen.

Heute beginnt die große Reise
und die Suche nach neuem Land.

Sie jagen nicht, sie gehen.

Sie laufen seit jeher.

Sie sind die Läufer des hohen Nordens.

Der Frühling kehrt gemütlich ein.

Die gefrorenen Flüsse haben ihre
flüssige Form wieder eingenommen.

Alles schmilzt immer schneller.

Und das missfällt ihm nicht.

Er wartet schon lange genug darauf.

Ein bisschen muss er wohl noch warten.

Auf Ailo wartet die erste Nacht
eines sanften Frühlings.

Aber diese Kreatur, die sich Ailos
Familie nähert,

wird nie satt.

Und sie will immer mehr.

Sie verschlingt Tausende
Hektar von Bäumen.

Um an die Bäume im Herzen
des Waldes zu kommen,

schaffen die Maschinen
ihre eigenen Straßen.

Für uns verbindet eine Straße Menschen.

Für Rentiere ist sie wie eine Mauer.

Eine unpassierbare Mauer,
die ihnen Angst macht

und sie bei ihrer
tausendjährigen Wanderung stört.

Die Wege der wilden Rentiere
sind schon immer dieselben.

Sie werden von Generation
zu Generation weitergegeben.

Eines Tages wird AiIo
sie auch kennenlernen.

Wenn sie bis dahin
noch nicht verschwunden sind.

Mehrere Wochen sind nun vergangen.

Ailo ist ein furchtloser Abenteurer.

Er will alles sehen, alles wissen.

Durch die Ermutigung seiner Mutter
und den Schutz der Herde

fühlt er sich fast unbesiegbar.

So, wie auch die Iltisse denken,
sie wären unbesiegbar!

Sie...
tja...

Sie sind wirklich unbesiegbar!

Aber sieh dich vor, Ailo.

Die Wölfin ist nicht mehr allein.

Von jetzt an ist ihr Rudel dabei.

Zwei kleine Wölfe!

Doch bevor sie die Jagd eröffnen,

muss die junge Mutter sie erst erziehen.

Und das beginnt mit der
Einhaltung von Regeln.

Geht nicht alleine weg!

Ich weiß nicht, ob ihr jemals von
euer Mutter ausgeschimpft wurdet,

mit gefletschten Zähnen und allem...

Aber ich hätte wirklich Angst gehabt,
wenn es so gewesen wäre.

Es ist also besser für Ailo,
nicht darauf zu warten,

dass die Jungen vom Spiel
zur Jagd übergehen.

Und sich nicht in ihrer Nähe aufzuhalten.

Denn in diesem Wald
leben noch andere Raubtiere.

Ein Polarfuchs.

Dieser kleine Fleischfresser
hätte Ailo gut vertragen,

als er noch kaum auf seinen Beinen stand.

Heute ist er ihm zu groß.

Er muss sich etwas Anderes suchen.

Einen Lemming, zum Beispiel!

Die Nuggets der Arktis.

Er ist leicht zu fangen.

Endlich.

Das sollte einfach sein.

Und wer dort sitzt, und ihn verspottet,

kommt euch das nicht bekannt vor?

Ersetzt das Eichhörnchen
durch einen Raben,

den Tannenzapfen durch einen Camembert

und den Fuchs durch...

Nun, einen Fuchs.

Das Problem ist, dass der Polarfuchs
hier nicht zu Hause ist.

Der Wald ist das
Territorium des Rotfuchses,

seines Cousins, der größer ist.

Doch auf den Gipfeln, seinem zu Hause,
gibt es nichts mehr zu fressen.

Also versucht sich der
kleine Cousin jetzt hier.

Er muss sich gut anpassen.

Aber im Grunde hat er nur eines im Sinn:

Seine Seelenverwandte zu finden
und eine Familie zu gründen,

dort oben, auf dem ewigen Schnee.

Es ist soweit, es ist Sommer in Lappland.

Hier hat man kaum Zeit, Sommer zu sagen,

ehe man es sich versieht,
geht er zu Ende.

Ailo ist groß geworden.

Sein Fell ist dunkel geworden
und sein Geweih ist gewachsen.

Eines Tages wird er ein Mann sein,
groß und majestätisch.

Und die Kleinen
werden mit einer Mischung

aus Angst und Bewunderung
zu ihm herauf sehen.

Doch gegen einige Gegner
ist die Größe nicht das, was zählt.

Hört ihr sie?

Hört ihr den Schwarm
von kleinen Schlachtschiffen,

die ihre vergifteten Pfeile
von allen Seiten in euch hineinjagen?

Eines Tages ist ein großes Rentier
ins Wasser gesprungen,

um ihnen zu entkommen.

Und die Moskitos ließen nicht von ihm ab.

Es ging immer tiefer hinein,

bis zum Hals, und zu den Ohren...

Man hat es nie wieder gesehen.

Der Sommer ist bald vorbei.

Ich habe ja gesagt,
dass er nicht lange dauern würde.

Für die Rentiere ist es Zeit,
auf die Gipfel vorzudringen.

Bis dort hinauf werden
die Mücken ihnen nicht folgen,

da es zu kalt und windig ist.

Genau diese Bedingungen mag er,
der kleine Polarfuchs.

Er ist während der
Sommermonate grau geworden.

Er hat immer noch nichts gegessen,

doch ein einziger Gedanke
hält ihn am Leben:

Diejenige zu finden, mit der er
eine Familie gründen wird.

Also geht er auch.

Siehe da!

Ist das denn möglich?

Die Schönste der Schönen!

Venus!

Die Erste, die die Nacht erleuchtet.

Welch Spektakel!

Solch Debakel!

Katastrophe!

Aber gleichzeitig sind diese neun
lebhaften Kleinen auch ein Segen.

Denn in Lappland gibt es
nur noch 200 Polarfüchse,

die in freier Wildbahn leben.

Aber das ist unserem kleinen Fuchs egal.

Weil auch er eine Familie möchte,
seine Familie.

Der Vater der Kleinen,

er kann nicht weit sein,
er ist sicher auf der Jagd.

Bei Polarfüchsen sind Paare
ein Leben lang zusammen.

Bei Rentieren ist das anders,

das werdet ihr später noch sehen.

September.

Der Herbst ist wie ein Feuerwerk.

Plötzlich steht alles in Flammen,

so als würde sich die Natur
schwungvoll verabschieden,

bevor sie sich in
den schwarz-weißen Tunnel

der nächsten sechs Monate begibt.

Jetzt ist Zeit, Reserven zu bilden.

Man isst und isst,
denn später gibt es weniger zu essen

und man muss unter
dem Schnee danach suchen.

Ailo ist jetzt fünf Monate alt!

Sein Geweih ist weiter gewachsen
und sein Fell ist wirklich hell geworden.

Er ist wie ein Teenager
am Ende eines großen Urlaubs.

Er ist noch klein, doch im Sommer
hat sich in ihm etwas verändert,

das ihn in die Erwachsenenwelt zieht.

Er hat noch Zeit. Doch er ist neugierig.

Was die Großen da tun, es fasziniert ihn.

So wie das Ritual,
sich eine Partnerin zu suchen.

Denn in Lappland
ist im Herbst Paarungszeit.

Für die ausgewachsenen Männchen
beginnt ein Turnier!

Es spielt sich dort oben
auf dem Gipfel ab.

Zwei, drei Wochen lang
duellieren sich die Männchen.

Sie jagen einander hinterher,
verteilen kräftige Schläge,

doch keiner tötet den anderen,

und der Sieger gewinnt die Gunst
von etwa fünfzehn Weibchen.

So läuft das dort.

Seht euch die beiden an!

Wenn sie sich mit ihrem Geweih
verfangen, so verflochten, untrennbar.

Und wenn es dazu käme, dass sie
hinfallen, so ineinander verkeilt...

Ich sage das nicht,
um euch zu erschrecken.

Es könnte einfach passieren.

Wenn Ailos Geweih eines Tages groß ist,

wird er oben auf dem Gipfel
an den Turnieren teilnehmen.

Doch jetzt ist er noch ein Teenager
am ersten Schultag.

Ihr wisst schon, wenn man neu ist
und niemanden kennt.

Lasst uns nach jemandem sehen, der
sich in der gleichen Situation befindet.

Zum Beispiel ein Hase.

Wir ahmen ihn nach,
um ins Gespräch zu kommen.

Es scheint so, als würde man so
verhindern, abgelehnt zu werden.

Es ist fast so, als würde
man zu einem Clan gehören.

Und jetzt nähern wir uns an.

Oder auch nicht!

Später, auf dem Schulhof,
gibt es immer einen oder zwei,

die gerne raufen.

Das sind die Gebrüder Iltis.

Unter Freunden gehört sich das nicht,

aber im wahren Leben würden diese
beiden den Hasen gern verspeisen!

Nur normalerweise haut die Beute ab.

Dieser Hase hat verstanden, wie es läuft:

Man muss den Feind destabilisieren,

bevor er sich vom Acker macht. Tja!

Diese beiden kampflustigen Kerle
glauben wirklich,

dass das den Großen Angst machen kann.

Sogar einer Herde mächtiger,
wilder Rentiere.

Aber richtige Angst,

die einem das Blut gefrieren lässt,

ist etwas Anderes.

Sie dringt wie Gift in euch ein.

Und ihr spürt die Gefahr um euch herum.

Ihr nehmt sie überall wahr,

von der Form der Wolken,

bis hin zu den Windgeräuschen im Wald.

Ihr könnt euch einreden,
dass ihr eine zu große Fantasie habt,

Geschichten erfindet,
weil ihr euch selbst gern Angst macht,

oder von Natur aus so seid.

Doch sie lässt nicht nach.

Sie sind bereit.

Heute jagen sie zum ersten Mal gemeinsam.

Beim Spielen haben die Kleinen
diesen Moment oft wiederholt.

Doch jetzt ist es kein Spiel mehr.

Die Jagdtechnik der Wölfe
ist altüberliefert

und wurde über Generationen weitergegeben.

So ist sie perefekt geworden.

Nachdem die Beute aufgespürt wurde,

verständigt man sich.

Trennt sich.

Isoliert sich.

Und tötet.

Die Wölfin mag ein großes Raubtier sein,

das macht sie aber nicht weniger
zu einer besorgten Mutter.

Die Jagd ist kein Spiel.

Das war weder ein Erdbeben,

noch ein Vulkanausbruch
oder Meteorschauer, nein.

Es ist nur seine Mutter!

Ein einziger Schrei,
der wie ein göttlicher Befehl ist,

dem er bis ins
Erwachsenenalter folgen wird.

Heute Abend wird ein Herdenmitglied
nicht zur Herde zurückkehren.

Der Angriff der Wölfe hat die
Rentiere im ganzen Wald verteilt.

Ailo hat sich verlaufen.

Er ist jetzt alleine in der Taiga.

Nun, nicht ganz.

Ein anderes Raubtier hat ihn bemerkt.

Und er, der Vielfraß, jagt allein.

Er wird auch „das Phantom der Taiga"

oder „Wolverine" genannt.

Geräuschlos folgt
der Vielfraß seinen Spuren.

Die Geduld ist seine Waffe.

Er weiß, dass Ailo schneller ist, als er.

Also umgeht er ihn,
ahnt seine Richtung voraus.

Ohne ein Geräusch zu machen,

legt sich der Vielfraß
auf dem Baum auf die Lauer

und wartet darauf,
sich auf Ailo fallenzulassen,

wie ein bleiernes Gewicht.

Dieses Gebrüll kommt Ailo bekannt vor.

Nur, dass diese Rentiere
nicht zu seiner Familie gehören.

Es ist nicht derselbe Geruch,
kein vertrautes Gesicht.

Ailo ist für sie wie ein Fremder
auf der anderen Seite einer Barriere.

Und seine Mutter, wo ist sie?

Es riecht nach Milch,
doch es ist nicht ihre.

Nein, das ist sie nicht.

Dem Vielfraß ist der Geruch egal.

Diese von Menschen domestizierte Herde

ist für ihn wie ein
All-you-can—eat-Buffet.

Dutzende Rentiere ohne wilden Instinkt.

Ailo hat verstanden.

Das Phantom der Taiga kennt die
Gewohnheiten der Herdenschutzhunde.

Sie werden die ganze Nacht
über Wache halten,

und am frühen Morgen zu den
Menschen ans Feuer stoßen

und in einen tiefen Schlaf fallen.

Also wartet er.

Nach stundenlanger Suche ein
bekannter Geruch. Endlich.

Der Geruch seiner Mutter.

Was Ailo diesmal gerettet hat,

war das Leben in der Wildnis,
das sie ihn lehrte.

Der Mut,

der Instinkt,

der Wille.

All diese wichtigen Dinge gehen verloren,

wenn man von allen Seiten umzäunt ist.

Und das rächt sich über kurz oder lang.

Denkt ihr jetzt, die Welt ist hart?

Ihr habt Recht.

Aber es ist auch unsere Welt.

Sie besteht aus Fleisch und Blut,

Wasser und Feuer, Schmerz und Leid.

Man geht voran, man kämpft,
man spielt, dass man kämpft...

Der Winter kommt ohne Vorwarnung.

Jetzt heißt es Überleben,
bis zum nächsten Frühling.

Und das tut jeder auf seine eigene Art.

Für Ailo und seine Herde
bedeutet der Wintereinbruch,

so schnell wie möglich
zu den Gipfeln zurückzukehren,

bevor das Gehen im tiefen
Schnee sie erschöpft.

Dort oben weht der Wind
den Schnee von den Bergen.

Die wertvollen Flechten,
die ihnen das Überleben ermöglichen,

sind somit zugänglicher
und die Reise weniger beschwerlich.

Jeder Schritt ist eine Probe,

die die Schwachen immer
weiter vom Gipfel fernhält.

Von der Kälte gefangen,
gleiten sie sanft in den Schlaf.

Aber für immer.

Auf die Stärkeren warten andere Gefahren.

Raubtiere, die fest entschlossen sind,

sich für den kommenden Winter
Reserven anzufressen.

Ailo gehört zu denen, die es wagen.

Gut, das... ist ein Verhalten,

das bei einem Teenager als
risikobehaftet eingestuft wird.

Und doch öffnen seine Taten den Weg

und inspirieren seinesgleichen.

Doch nur eine falsche Bewegung
und das Phantom der Taiga zögert nicht.

Also zittert jetzt,

oder schließt die Augen,
wenn ihr zu empfindlich seid,

denn nichts hindert den Vielfraß daran,
sein Ziel zu erreichen.

Nichts wird ihn davon abhalten,
sich auf seine Beute zu stürzen.

Im Schnee profitiert der Vielfraß
von seinen großen Beinen,

die im Gegensatz zu denen
der Rentiere nicht einsinken.

Ich sage es noch ein letztes Mal.

Nichts kann ihn aufhalten.

Bis auf vielleicht...

ein Vielfraßweibchen.

Ist euch das noch nie passiert?

Ihr lernt eine Person kennen,
die euch beeindruckt.

Euer Herz schlägt für sie.

Aber wie spricht man sie am besten an?

Nun, zunächst gäbe es die Methode
der direkten Annäherung!

Wenn das nicht funktioniert,
muss man etwas finden,

das sie beeindruckt,
eine verrückte Sache,

bei der sie sagt:
„Wow! Er ist nicht irgendwer!"

Wie wäre es damit?

Oder damit?

Das problematische an Vorwärtsrollen ist,

dass sie so viel Spaß machen,
dass man Gefahr läuft,

alles zu vergessen.
Sogar seine Zukunft!

Die Liebe wird warten...

Mit den Vielfraßen dort oben
verhält es sich anders,

als mit den Polarfüchsen,
es gibt sehr viele!

Da! Unser grauer Polarfuchs,

ist pünkltlich zum Winter
wieder weiß geworden.

Er rennt immer noch
seiner Braut hinterher.

Und Rennen macht hungrig.

Die Hermeline kennen jedoch eine Taktik,
um Füchsen zu entkommen.

Sie erscheint euch vielleicht
etwas chaotisch,

aber sie heißt:
„Ich bin hier... ich bin weg!

Ich bin hier... ich bin weg!"

Und es kann noch ewig so weitergehen,

bis der Feind weg ist!

„Ich bin hier... ich bin weg!

Ich bin hier... ich bin weg!"

So vergeht die Zeit in Ailos Welt.

Der Adler, ein unparteiischer Wächter,

der die Stunden
und die Jahreszeiten trennt,

so wie Leerräume zwischen Wörtern,
die wir niemals hören werden.

Wörter wie „Der mauerne See",

der Name dieses langen,
kaum zugefrorenen Flusses,

den die Rentiere heute überqueren müssen
und ihr Leben aufs Spiel setzen.

Sie haben keine Wahl.

Darauf zu warten,
dass das Eis dicker wird,

würde ihre Chancen verringern,
den Gipfel rechtzeitig zu erreichen,

sehr zur Freude der Raubtiere...

Erinnerst du dich, Ailo?

An deine ersten Schritte im Schnee?

Als du in die Fußabdrücke
deiner Mutter tratst,

die sie für dich eingestampft hat?

Heute beobachtet sie dich immer noch,
aber du läufst jetzt schon voraus.

Du weißt es nicht,

aber sie erwartet ein neues Junges.

Und aus dir ist ein wahrer Läufer
des hohen Nordens geworden.

Deine Familie, deine Vorfahren,

sie sind schon seit Ewigkeiten hier.

Unter dem grauen Himmel und dem Nordlicht.

Die Sonne ist jetzt auf die andere
Seite des Polarkreises geflohen.

Wir werden sie für lange Zeit
nicht mehr sehen.

Es bleibt noch ein dunkles Licht,
das „Kaamos" genannt wird.

Etwas zwischen einer Morgen-
und Abenddämmerung.

Es ist,
als ob die Zeit stehengeblieben ist.

So wie dieser komplett zugefrorene See.

Oh, eine alte Bekanntschaft.

Sei nicht böse, Langohr,

aber für Ailo sind die Zeiten
des Spielens längst vorbei.

Die Prüfungen haben ihn geprägt

und sein Blick auf die Welt
hat sich verändert.

Was ist das für ein seltsamer Baum,

der auf diesem verschlafenen
See gewachsen ist?

Der Baum, er ist traurig.

Der Kampf, der ihn hervorbrachte,
war wunderschön.

Eines der beiden Männchen, der Sieger,

hätte die Gunst aller Damen
der Herde gewonnen.

Das Feuer in ihren Herzen war so groß,

dass ihre Geweihe sich verkeilten
und sich nicht mehr voreinander lösten...

Während das Wasser zu Eis wurde.

Ein Unglücksbringer.

Ailo weiß das.

Ailo kann die Zeichen jetzt deuten.

Der Rabe lockt die Wölfe zur Beute,
um sich an ihren Kadavern zu laben.

Halte dich hier lieber nicht zu lange auf!

Doch was die Wölfe wirklich interessiert,

ist frisches Fleisch.

Der Rabe weiß das.

Die Rentiere dürfen keine Zeit verlieren.

Seit dem zugefrorenen See
sind sie stetig durchmarschiert.

Sie verlassen den Wald und gehen dorthin,
wo gar nichts, oder fast nichts, wächst.

Diesmal waren die Rentieren schneller.

Dieser Schnee ist zu tief für die Wölfe,

die weiter unten
eine andere Herde jagen werden.

Wer würde es wagen,
die Bewohner dieser Welt zu verurteilen?

Die Wölfin, der Iltis,
der Fuchs, der Vielfraß.

Sie sind immer abwechselnd
Beute und Räuber.

Ist das nicht bei jedem von uns so?

Und denkt auch an die, die wie Ailo,

das kleine Rentier,
nur wehrlose Beute sind.

Dieser Schneesturm stellt ihn und seine
Herde ein weiteres Mal auf die Probe.

Temperaturen bis -40 Grad.

Ailo entdeckt zum ersten Mal
die windigen Gipfel,

auf dem die Herde die nächsten
sechs Monate verbringen wird.

Ihr kalter Mond.

Und diesen Schatz,
ihren Schatz: die Flechte.

Dank ihr werden sie im Herzen
dieser eisigen Welt überleben können.

Es ist sehr kalt, ja.

Aber manchmal gibt es
kleine Augenblicke der Wärme.

Manchmal ist das Leben schön.

Ich will damit sagen, ja,
es gibt furchtbarer Tage,

es gibt erschütternde Tage, traurige Tage,

Tage des Hungers und kalte Tage.

Aber manchmal...

Gibt es glückliche Tage.

Nun ist einige Zeit vergangen.

Eine Ewigkeit.

Bald wird Ailo ein Jahr alt.

Bald werden seine Mutter

und andere Weibchen
weitere Junge zur Welt bringen.

Für ihn wird es Zeit, ohne sie zu leben.

Sein Leben als Erwachsener zu leben.

Also bereitet er sich schon mal vor.

Die Welt ist seltsam.

Manchmal ist sie so hart,
dass man alles hinwerfen möchte,

sich in eine Ecke flüchten
und sich verstecken möchte.

Und dennoch, jedes Mal,
wenn wir uns dazu entschließen,

aufzustehen und das Leben
so zu nehmen, wie es kommt,

ohne Umwege,

lächelt uns die Welt am Ende zu.